10 Jahre Jazz Lev e. V.
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10 Jahre JAZZ LEV e.V.
Im Jahr der "9. Leverkusener Jazztage" (im Oktober 1988) besteht der
Club JAZZ LEV e.V. 10 Jahre. Nicht von ungefähr verlaufen diese beiden Daten
nahezu parallel; denn daß es dieses inzwischen längst über die Stadt Leverkusen
hinaus bekannte und auch international beachtete Jazz-Festival gibt, ist
ein wesentliches Verdienst des Club JAZZ LEV e.V. und seiner unermüdlichen
Mitglieder und Helfer.
Seit der Forum-Eröffnung 1969 und auch zuvor noch im Evangelischen Gemeindesaal
in Leverkusen-Wiesdorf gab es zwar immer wieder Jazzkonzerte internationaler
und regionaler Spitzenbands, aber eine Jazzszene in unserer Stadt hat sich
erst durch diesen Jazzclub entwickeln können.
Nachdem Tode Alfred Henneböhls, der Anfang der 60er Jahre bereits versuchte,
in Leverkusen eine solche Jazzgemeinde ins Leben zu rufen, wurde 1978 der
Club "JAZZ LEV e.V." gegründet. Seine Initiatoren waren und sind bis heute
Erhard T. Schoofs, Udo Gerling und Wolfgang Orth, dessen Kneipe "topos"
in Alt-Wiesdorf bald zum Treffpunkt einer rasch wachsenden Zahl eingeschworener
Jazzfreunde wurde. Der Verein setzte es sich zum Ziel, die Jazzmusik in
dieser Stadt tatkräftig zu fördern und als festen Bestandteil der Kulturszene
zu etablieren.
In welchem Umfang dies gelungen ist, beweisen nicht nur die alljährlichen
"Leverkusener Jazztage" und das "Bluesfestival" (als gemeinsame Veranstaltungen
des städtischen Kulturamtes und des JAZZ LEV e.V.), sondern auch der "Jazz-Band-Ball"
zur Karnevalszeit, die wöchentlichen Jazzkonzerte im "topos", "Jazz in the
Garden" während des "Morsbroicher Sommers", Jazz-Workshops der Musikschule
und zahlreiche andere Aktivitäten.
Zu einem Ereignis von internationaler Bedeutung hat sich auch die "European
Jazz Competition" entwickelt, die jährlich in Verbindung mit den "Leverkusener
Jazztagen" als europäisches Nachwuchsfestival stattfindet und die zahlreichen
Preisträgern bereits den Weg in die internationale Musikszene geöffnet hat.
Initiativen wie die des "JAZZ LEV e.V." vermitteln dem kulturellen Leben
nachhaltige Impulse, und sie haben prägende Wirkung für das Erscheinungsbild
unserer Stadt weit über örtliche und regionale Grenzen hinaus. Europa- und
weltweite Fernsehübertragungen des "Jazz aus Leverkusen", Reportagen und
Berichte in Presse und Rundfunk sind ein deutlicher Beleg dafür.
Ich gratuliere dem "JAZZ LEV e.V." zum 10jährigen Bestehen, und ich danke
allen, die eine solche Entwicklung ermöglicht haben: Dazu zählen die Mitglieder
des Vereins ebenso wie die nach wie vor ehrenamtlich tätigen Organisatoren
des Festivals; Rat und Verwaltung unserer Stadt; die wachsende Zahl engagierter
Sponsoren und nicht zuletzt und jazzbegeistertes Publikum; die vielen einheimischen
und auswärtigen Freunde des Jazz, die diese Szene tragen.
Während eines Jahrzehnts erfolgreicher und kompetenter Arbeit haben sich
die von breiter Zustimmung und Unterstützung begleiteten Aktivitäten des
"JAZZ LEV e.V." zu einem "Markenzeichen" der Kulturstadt Leverkusen profiliert.
Ich wünsche dem Verein und unserer Stadt, daß diese beachtliche Zwischenbilanz
jedoch nur den Ausgangspunkt für weitergesteckte Ziele markiert.
Dr. Wolfgang Schulze-Olden
Kulturdezernent der Stadt Leverkusen
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Ein Konzept bewährt sich ...
Seit einem Jahrzehnt existiert nun der Verein JAZZ LEV e.V. Und er hat
sich in diesem Zeitraum zu einem Kulturträger ersten Ranges entwickelt,
an dessen Vorhandensein und reibungsloses Funktionieren sich jedermann gewöhnt
hat. Aus bescheidenen Anfängen erblühte der Club zu einer Institution von
Format und ist heute landauf, landab unter Fachleuten ein Begriff.
Ein solcher Aufstieg wäre nicht möglich gewesen, wenn der Verein nicht im
städtischen Kulturamt (und zwar namentlich bei dessen stellvertretendem
Leiter Günter Steinbrecher) von Anfang an Rückhalt und offene Ohren gefunden
hätte.
Vieles hat sich über die Jahre hinweg eingeschliffen, auch die Finanzierung
der diversen Großveranstaltungen: Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge und
kommunale Zuschüsse sind dabei nur die eine Seite. Diese Mittel bedürfen
nämlich der Ergänzung durch private Zuwendungen. Anders als durch die Mithilfe
von Sponsoren könnten nämlich etwa die Leverkusener Jazztage nicht getragen
werden. Deshalb ist das Zusammenspiel mit der gewerblichen Wirtschaft so
wichtig, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Allerdings sollte an dieser
Stelle nicht verschwiegen werden, daß nicht jeder Sponsor seine Möglichkeiten
wirklich ausschöpft; konkret: Die Bayer AG könnte mühelos eine ungleich
größere Summe für die Jazztage aufbringen, als es bislang der Fall ist.
Da die Aktiven des Vereins sämtlich ohne Honorar arbeiten, können alle Sponsoren
gewiß sein, daß ihr Geld voll und ganz der künstlerischen Qualität der Konzerte
zugute kommt.
Wenn JAZZ LEV die vergangenen zehn Jahre nicht nur überdauert, sondern sogar
einen erstaunlichen, steilen Weg nach oben hinter sich gebracht hat, so
ist das natürlich auch eine Bestätigung des Vereinskonzepts. Was auch immer
sich jemand unter "Jazz" vorstellen mag - er sollte auf jeden Fall "seine"
Richtung im Veranstaltungsangebot des Clubs wiederfinden können. Das heißt:
Kein Stil, keine Spielart, keine Strömung oder Tendenz der afro-amerikanischen,
improvisierten Musik wird ausgeklammert oder vernachlässigt. Alles hat seinen
Platz, der NEW ORLEANS JAZZ und der SWING, die europäischen Avantgardisten
und die amerikanischen Neo-Traditionalisten, der BEBOP, der Spät-Bop, der
Post-Bop, der Hardbop, der Neo-Post-Bop und überhaupt jeder Bop, der JAZZROCK
und der kühle Kammer-Jazz, die gehobene Bahrmusik und die fröhliche Biermusik,
die Musik der Experimentierer, Revoltierer, Restaurierer und Höchstgagen-Kassierer
... Schließlich bauen ja auch die wildesten Free-Jazz-Eskapaden letztlich
auf dem Fundament der allerersten Blues- und Jazzanfänge auf. Die Jazzgeschichte
gleicht einem Haus, dessen oberste, moderne Stockwerke zwar bei äußerer
Betrachtung kaum noch Ähnlichkeiten mit den unteren, in früheren Jahrzehnten
errichteten Etagen aufweisen, obwohl doch das eine mit dem anderen verstrebt
ist. Ohne die grundlegenden Errungenschaften der älteren Baumeister hätten
die neuen Zimmer keine tragfähige Basis. Diese Abhängigkeit des Heutigen
vom Gestrigen einsehbar und verständlich zu machen, ist ein (wenn man so
sagen darf: pädagogisches) Anliegen des Vereins JAZZ LEV. Und das setzt
eine extreme Vielseitigkeit des Programms voraus. Ob einer tanzen will zur
Jazzmusik oder lieber versunken auf dem Boden sitzt und komplizierten Strukturen
nachsinnt; ob einer über den Tellerrand blickt und jenseits des Jazz für
sich Astor Piazollas Neuen Tango oder den andalusischen Flamenco entdeckt;
ob einer den Blues in seiner archaischen Form liebt oder ihn in seiner städtischen,
modernen, rockenden Form bevorzugt: Keines dieser Bedürfnisse wird außer
acht gelassen. Alle Fans sollen auf ihre Kosten kommen - nicht auf einmal,
gewiß, aber nach und nach ist jeder Geschmack mal an der Reihe.
Hinzu kommt: JAZZ LEV bietet regelmäßig eine Auswahl verschiedenster Veranstaltungsformen.
Der Auftritt im typischen Jazzclub ist ebenso vertreten wie das Gastspiel
in der bürgerlichen Kneipe; es gibt Festivalatmosphäre und Schwoof auf schwankenden
Bootsplanken, Jazz auf der Kinoleinwand und auf der Ballettbühne. Und seit
den letztjährigen Jazztagen ist JAZZ LEV sogar unter die Aussteller gegangen:
In Zusammenarbeit mit dem Wiesdorfer Galerie Treff wurde das bildnerische
Werk des Saxophonisten Hans Koller vorgestellt, dessen Doppelbegabung seit
längerem bekannt ist. Weitere Ausstellungen dieser Art sind bereits geplant.
Denn auch solche Kombinationstalente sollten entsprechende Förderung erfahren.
Ein besonderes Anliegen des Vereins besteht darin, solche Musikfreunde an
den Jazz heranzuführen, die bisher noch keinen Zugang zu dieser Kunstform
haben, und ihnen die schier unerschöpfliche Vielfalt des Jazz nahezubringen.
Man darf gewiß sein, daß auch in den nächsten zehn Jahren diese selbstauferlegte
Verpflichtung erfüllt wird.
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Vorher war eigentlich gar nichts ...
Wie gut das Zusammenspiel mit dem Leverkusener Kulturamt im Juliäumsjahr
funktioniert, wird ab September ein Veranstaltungszyklus zeigen. Er heißt
"JAZZ GIANTS AT THE FORUM" und wird jeden Monat einen hochkarätigen Meister
des Jazz in den Leverkusener Musentempel bringen.
Wie war es jedoch früher um die swingende, improvisierte Musik in der Farbenstadt
bestellt? Wer kann sich überhaupt noch erinnern, was dem Fan geboten wurde,
bevor sich die rührige Initiative als Konzertveranstalter hervortat? Nun,
es gibt eigentlich auch nichts zu erinnern. Die Kulturabteilung der Bayer
AG hat erst neuerdings überhaupt bemerkt, daß eine Musik namens "Jazz" existiert
(wozu die Arbeit von JAZZ LEV sicher beigetragen hat). Und das städtische
Kulturamt ließ es sich nur in Abständen angelegen sein, die Liebhaber der
afro-amerikanischen Musik mit einem Konzert zu bedienen. Zumeist handelte
es sich dabei um Abende mit Oldtime- oder allenfalls Swing-Jazz; die stilistischen
Entwicklungen seit 1945 werden auch heute noch von den kommunalen Kulturverwesern
stiefmütterlich behandelt.
Man kann sich über solche Übelstände mit gutem Grund aufregen, wie es zum
Beispiel im Jahr 1982 zwei Herren taten, von denen noch die Rede sein wird.
Sie schickten damals Leserbriefe an die Rheinische Post, in denen folgendes
zu lesen stand: "Ich wundere mich", schrieb Udo Gerling, daß Bayer "keinerlei
Rock- und Jazzveranstaltungen anbietet, vielmehr allein die Klassik aufwendig
fördert". Und Erhard T. Schoofs kartete nach: "Die städtischen Rock-/Jazzveranstaltungen
sind ... wahrscheinlich aus Geldmangel oft schmalbrüstig und zweitklassig,
während in den klassischen Musikbereichen über 95% des gesamten finanziellen
Etats aus der Sparte Musik fließen".
Keine Frage: Solcher Unmut ist berechtigt. Allerdings darf nicht übersehen
werden, daß die Misere überall die gleiche ist. Selbst in einer Stadt wie
Köln trägt das Kulturamt nicht das Geringste zu der außergewöhnlichen Lebendigkeit
der dortigen Jazzpflege bei. Alles, was in der Domstadt an bemerkenswerten
Jazzereignissen stattfindet, wird von privater Seite bzw. vom WDR initiiert
- wenn man mal davon absieht, daß die "KölnMusik" ab und zu den einen oder
anderen in Ehren ergrauten Superstar in die Philharmonie holt.
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Irgendwann mußte JAZZ LEV einfach geboren werden ...
Wie gesagt: Fast überall verträgt sich der Jazz nur schwer mit den Prinzipien
amtlicher, steuergeldgestützter Kulturarbeit. Es scheint, als läge das in
der Natur der Sache. Kaum ein anderer künstlerischer Bereich ist unübersichtlicher
als der Jazz und zwar aus vielerlei Gründen. Einer davon ist die schlechte
Betreuung durch die Medien. Wer sich etwa auf dem laufenden halten will
über die wichtigen Inszenierungen der deutschen Bühnen, braucht bloß in
die Feuilletons der überregionalen Presse zu schauen. Wer aber wissen möchte,
welchen bundesrepublikanischen Jazzer man im Auge behalten sollte, weil
seine Entwicklung gerade eine aufregende Wendung nimmt, der ist ganz und
gar auf die beiden deutschen Fachblätter angewiesen, von denen das eine
bei den Fachleuten in zweifelhaftem Ansehen steht. Und das, was in den USA
oder in den extremen Randlagen Europas an Neuem und Wesentlichem aufblüht,
ist noch viel schwieriger zu beobachten. Ein Beamter, der hauptsächlich,
sagen wir, Symphonie- und Kammerkonzerte und Operettenaufführungen organisiert,
kann dergleichen schlechterdings nicht im Blick haben. Zudem gibt es noch
einige jazztypische Besonderheiten, die das Bild zusätzlich verwirren, wie
zum Beispiel die rasch wechselnden Besetzungen vieler Bands oder die Unfähigkeit
der meisten Jazz-Agenten, wirklich brauchbares Informationsmaterial zu erstellen
und in Umlauf zu bringen.
Es geht nicht anders: Um mit dieser chaotischen Jazzszene klarzukommen,
die sich oft nach außen hin abschottet und häufig sektiererische Verhaltensweisen
kultiviert, muß man sich mit begeisterter Hingabe der Sache widmen. Und
dazu sind eigentlich nur zwei Gruppen von Menschen in der Lage, nämlich
zum einen diejenigen, die den Jazz auf irgendeine Weise zum Gegenstand ihres
Berufslebens machen konnten, und zum anderen die engagierten Hörer dieser
Musik, die Fans, die ihre Freizeit mit dem Studium des Jazz und der Jazzliteratur
zubringen. Auf die Dauer war es absolut unvermeidlich, daß gerade die letztgenannten
Leute in Leverkusen eines Tages aktiv werden würden. Denn in Anbetracht
der vielen grandiosen Opern- und Theatergastspiele im Forum und im Erholungshaus,
angesichts der unzähligen, hochkarätigen klassischen Konzerte und im Hinblick
auf die ständig wechselnden, bedeutenden Ausstellungen zeitgenössischer
Kunst in Schloß Morsbroich konnten sie es nicht hinnehmen, daß als einzige
Kunstform "ihre" Musik, der Jazz, aus dem städtischen Kulturleben ausgeblendet
blieb. Eines Tages mußten sich die Enthusiasten einfach formieren!
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Es geschah mitten im Karneval ...
Leverkusen, die Farbenstadt, liegt im Rheinland. Diese Tatsache ist,
nicht zuletzt durch die internationale Bedeutung der Leverkusener Jazztage,
inzwischen auch im Ausland weithin bekannt. Und es hat sich auch längst
allerorten herumgesprochen, daß die wichtigste Jahreszeit der Rheinländer
der Karneval ist. Nichts nur des Feierns und des Frohsinns wegen lieben
die Menschen am deutschen Strom die letzten sechs Tage vor der Fastenzeit,
sondern auch deshalb, weil es sich hinter schützenden Masken und Pappnasen
so trefflich Klüngeln und mauscheln, intrigieren und antichambrieren läßt.
Versteht sich, daß die Geburt einer derart wichtigen Institution wie JAZZ
LEV auf irgendeine Weise mit der närrischen Zeit zu tun hat.
Der Zusammenhang ist folgender: Während der Session 1977/78 waren dem damaligen
Karnevalsprinzen die Herren Erhard T. Schoofs als Adjutant und Karl-Heinz
Kämper als Prinzenführer zugeteilt. Einmal während der tollen Tage besuchte
die gesamte Equipe den Geschäftsmann Kämper, und bei dieser Gelegenheit
entdeckte der Gesamtschullehrer und Ratsherr Schoofs gewaltige Stapel von
Jazzplatten. Sofort war ihm klar: Hier wohnt ein Gleichgesinnter. Und da
die beiden Fastelovends-Funktionäre allmählich genug hatten vom närrischen
Treiben, vertieften sie sich alsbald in ein Gespräch darüber, ob nicht der
Jazz ein attraktiveres Betätigungsfeld für zwei so emsige Aktivisten sei.
Schoofs konnte dabei auf einschlägige Erfahrungen verweisen, hatte er doch
in seiner Frechener Zeit bereits einen Jazzclub gegründet - übrigens zusammen
mit dem nachmaligen Leverkusener Kulturdezernenten Dr. Joachim Türke. So
wurde die Idee zur Gründung von JAZZ LEV e.V. in die Welt gesetzt. Innerhalb
weniger Wochen nahm sie feste Formen an. Für eine juristisch einwandfreie
Vereinsgründung nach den strengen, diesbezüglichen Bestimmungen des deutschen
Rechts mußten die Initiatoren jedoch erst einmal ein siebenköpfiges Team
aufbauen. Mit dem Schmuckdesigner, Galeristen, Gastronomen und Jazzfan Wolfgang
Orth fand sich rasch der Dritte im Bunde. Orth liebte es, in seiner Chronos-Galerie
und im Galerie-Café Dichterlesungen und Vernissagen mit musikalischen Beiprogramm
zu veranstalten. Zur Ausrichtung reiner Konzertabende war es deshalb für
ihn nur ein kleiner Schritt.
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Zum Start sofort ein Konzert ...
Da auch die restlichen Gründungsmitglieder schnell zueinander kamen,
konnte die Leverkusener Rundschau bereits am 17. Juni 1978 melden: "Club
'JAZZ LEV im Galerie-Cafe" gegründet". Dem ersten Vorstand gehörten neben
Schoofs, Orth und Kämper noch Reinhold Braun, Ute Bußmann, Ingrid Härtung
und Max-Dieter Preuß an. Um möglichst rasch eine vernünftige Satzung vorweisen
zu können (die man braucht, wenn man Zuschüsse beantragen will), übernahmen
die Gründer provisorisch die Statuten des Hot Club Iserlohn. Der konnte
damals schon auf eine 25jährige Geschichte zurückblicken und war deshalb
als Vorbild für die eigene Arbeit gut geeignet.
Natürlich wollte man sofort in die vollen gehen und kündigte noch für den
Gründungsmonat das erste Konzert an. Der Stargast des Abends hieß Leopold
von Knobelsdorff und schipperte haarscharf am Eklat vorbei: Weil der preußische
Adlige und Boogie-Pianist im Hauptberuf als Tontechniker beim WDR arbeitet
(wobei er, wie Augenzeugen berichten, an den Reglern die gleiche tänzerische
Eleganz und Beschwingtheit entfaltet wie auf den Tasten), geriet er an jenem
Abend für den JAZZ LEV so bedeutungsvollen Tag in zeitliche Verdrückung.
Irgend eine Produktion war nicht pünktlich fertig geworden, mit dem Ergebnis,
daß von Knobelsdorff erst eine halbe Stunde nach dem verabredeten Termin
im Galerie-Café aufkreuzte. Dort fand er einen aufgebrachten Erhard T. Schoofs
vor, der eine solche Saumseligkeit partout nicht hinzunehmen bereit war
und zur Strafe die Gage um DM 100 kürzte. Schoofs' Vorstandskollegen nahmen
die Sache mit Gelassenheit hin (Karl-Heinz Kämper: "Bei den Jazzmusikern
gehen die Uhren eben anders; die haben ein eigenes Zeitgefühl!"). Knobelsdorff
jedenfalls ließ sich durch den Krach nicht verdrießen und hängte eine ganze
Stunde an die vereinbarte Konzertlänge an. Das wiederum glättete die Wogen
und man söhnte sich mit ihm aus.
Die Episode ist insofern symptomatisch, als hier gleich bei der ersten Veranstaltung
des jungen Vereins ein Problem spürbar wurde, das später bei den Leverkusener
Jazztagen in verschärfter Form immer wieder auftauchte: Was darf man den
Musikern durchgehen lassen? Wie bringt man die berechtigten Interessen des
Publikums, das einen pünktlichen Beginn und einen zügigen Ablauf erwartet,
mit den Launen, Schrullen, Laxheiten und überraschenden Ein- und Ausfällen
der Künstler in Einklang ? Mit den Jahren sammelt sich da freilich ein reicher
Erfahrungsschatz an. Wenn JAZZ LEV im Herbst sein neuntes Festival ausrichtet,
wissen die Aktiven längst, mit welchen Irritationen sie zu rechnen haben
und wie sie sich dagegen absichern. Nicht zuletzt die Präzision und Strenge,
mit der Schoofs in geschäftlichen Dingen vorging, hat dazu geführt, daß
Musiker, Agenten und Manager in aller Welt heute wissen, daß sie sich in
Leverkusen an die peniblen Vertragsbedingungen zu halten haben.
Kämper: "Erhard führte in unserer Anfangsphase ein strenges Regiment. Natürlich
hat das ab und zu Verärgerungen verursacht, aber es hat sich im Rückblick
als richtig erwiesen. Er hat auf seinen Schultern den ersten Aufstieg des
Clubs getragen und dabei viel von seinen Frechener Erfahrungen eingebracht."
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Und dann stachen sie in See ...
Die erste Großveranstaltung des Vereins spielte sich auf schwankendem
Boden ab: Man wollte die alte Tradition der Riverboat Shuffles wiederbeleben,
wie sie einst auf dem Mississippi in Blüte stand. Man mietete ein winziges
Dampferchen, heuerte mehrere Bands an und stach von Köln aus in See respektive
in die schmutzigbraunen Fluten. Bis in die frühen Morgenstunden kreuzte
das Bötchen auf dem Rhein, während an Deck die Passagiere das Tanzbein schwangen.
Im Jahr darauf wurde die Sache ungleich größer aufgezogen. Diesmal trug
das gecharterte Schiff den stolzen Namen "Goethe"; es gehörte (und gehört
noch heute) der Köln-Düsseldorfer, sieht imposant aus und fuhr mit kräftig
rotierenden Schaufelrädern schnurstracks ins Defizit. Ein mitreisender Journalist
rechnete nachher der Öffentlichkeit vor: Von den DM 12.50, die jeder Passagier
bei Fahrtantritt zu entrichten hatte, gingen jeweils DM 9.90 auf das Konto
der Schiffahrtsgesellschaft. Und von den verbleibenden DM 2.60 pro Musikfan
war ein Errol Dixon oder ein Mighty Flea Conners einfach nicht zu bezahlen.
Man zahlte also im wahrsten Sinne des Wortes "Lehrgeld". Die Tatsache, daß
auch heute noch die Riverboat Shuffles zum festen Jahresplan des Vereins
gehören, beweist aber, daß inzwischen die Kalkulationsmethoden verbessert
und vor allem preiswertere Schiffsvermieter aufgespürt wurden.
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Und abermals geschah's im Karneval ...
Vor der Sache mit dem (finanziellen) Schiffbruch hatte der farbenstädtische
Jazzclub bereits für eine Sensation gesorgt. Die erste Nacht mit dem zungenbrecherischen
Namen "Jazz-Band-Kostüm-Ball" war im Forum über diverse Bühnen gegangen.
Bis in die ersten Stunden des Samstagmorgen hinein blieb die Stimmung auf
dem Siedepunkt. Kein Wunder, denn den vielen, vielen Schunkelmuffeln und
Humbta-tätärä-Verächtern, die das Leverkusener Kulturzentrum zum Wackeln
brachten, wurde von einer Phalanx tüchtiger Bands mächtig eingeheizt. Karneval
wie in New Orleans beim Mardi Gras war da zu erleben, und am Montag darauf
jubelte die Leverkusener Rundschau: "Voll war es überall, vom Keller bis
ins Obergeschoß, und wer beim Tanzen oder Zuhören pausieren wollte, langweilte
sich auch nicht: Die Kostüme, besonders der Damen, hatten für sich allein
hohen Unterhaltungswert. Von Strapsen bis zum Punk-Fetzen-Look gab es alles,
und mancher erkannte selbst gute Freunde erst beim dritten Hinsehen."
Vom Sinti-Swing des Rigo-Winterstein-Quintetts über den kernigen Sound der
Peter Nonn Blues Band bis hin zum Oldtime Jazz der Dark River Jazzband spannte
sich der musikalische Bogen. Aber da mochte ein Entertainer wie Champion
Jack Dupree noch so fröhlich in die Tasten hämmern - seine Kunst verblaßte
ganz entschieden im Vergleich zum großen Knüller des Abends. Der Posaunist
Chris Barber und der Klarinettist Monty Sunshine sorgten für die Sensation.
In den einschlägigen Jazzanalen sind die beiden Revival-Meister als feindliche
Brüder vermerkt, die nach anfänglichen gemeinsamen Erfolgen im Zorn voneinander
schieden. Und daran war die Liebe schuld. Beide Herren hatten sich nämlich
in ein und dieselbe Dame verguckt - in die Bluessängerin Ottilie Patterson.
Monty wollte sie heiraten, aber Chris spannte sie ihm aus und führte sie
seinerseits zum Traualter. Fortan war es ratsam, den Namen Barber nicht
in Gegenwart von Mr. Sunshine zu erwähnen. In Leverkusen auf dem Kostümfest
aber begruben sie das Kriegsbeil und improvisierten zum ersten Mal seit
14 Jahren wieder zusammen. Bis kurz vor Mitternacht hatten die beiden Stars
das Publikum im Ungewissen gelassen, ob die angekündigte Versöhnung wirklich
stattfinden würde. Dann endlich verfingen die Vermittlungsbemühungen just
jener Frau, um derentwillen der Hader überhaupt begonnen hatte; denn die
bewußte Miss Patterson war es, die das Zerwürfnis wieder einrenkte. Nach
langen Jahren der Bühnenabstinenz sang die Friedensstifterin den Blues wie
eh und je. Die Begeisterungsstürme des Publikums, das schon gerast hatte,
als Monty und Chris loslegten, steigerte sich nochmals um ein Vielfaches,
als die Vokalistin auftrat.
Amüsantes Detail am Rande: Das denkwürdige Konzert brauchte JAZZ LEV bis
heute nicht zu bezahlen. Der Agent vergaß, die Rechnung zu schicken. Wie
man hört, soll ihm das des öfteren passieren.
Seit jener fulminanten Premiere ist in jeder fünften Jahreszeit ein Jazz-Band-Kostüm-Ball
angesagt. Die Karten für den Schwoof in (fast) allen Forumräumen verkaufen
sich gewissermaßen von selbst. Wenn nach der Endabrechnung ein Überschuß
bleibt (und daß einer bleibt, darauf kann man sich verlassen), wird das
Geld in Konzerte investiert, die vielleicht weniger populär sind und deshalb
die Gefahr eines Mankos in sich bergen. Denn das ist ein Teil des Konzepts
von JAZZ LEV: Die "Renner" im Veranstaltungsangebot tragen durch ihren Erfolg
die künstlerisch besonders anspruchsvollen, aber unpopulären Gastspiele.
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Der "Ort" des Herrn Orth ist kein stilles Örtchen.
Den meisten Menschen in Leverkusen fällt bei der Erwähnung des Namens
JAZZ LEV sogleich das Wort "Topos" ein. Und das hat seinen guten Grund.
"Topos" (oder modisch klein geschrieben "topos") - so heißt nämlich ein
Lokal in der Wiesdorfer Altstadt, in dessen Mauern sich der Aufstieg von
JAZZ LEV zu einem nicht geringen Teil vollzog. Das topos befindet sich auf
der Hauptstraße 134, in einem Haus also, das auf bisher noch nicht geklärte
Weise den Niedergang und die völlige Zerstörung der Leverkusener Altstadt
überlebt hat und wohl auch den Wiederaufbau durch die Bayerwerke überstehen
wird.
Das Wort "topos" ist griechisch und bedeutet so viel wie Ort. Und so heißt
auch der Besitzer des Ladens: Orth, Wolfgang mit Vornamen. Er ist ein JAZZ
LEV -Aktivist der ersten Stunde und veranstaltete schon lange vor der Vereinsgründung
Jazzkonzerte. Damals glaubten die Fans noch, es müsse wohl ein unabänderliches
Naturgesetz sein, daß die swingende Musik innerhalb des Leverkusener Stadtgebietes
schlicht und einfach nicht stattfand. Wolfgang, der Mann mit dem schwarzen
Schnauzbart, holte sie herein, zuerst allein, dann im Zusammenwirken mit
vielen Gleichgesinnten.
Fast kennt man es gar nicht mehr anders: Donnerstag ist Jazztag im topos.
Oder, wie es ein Programmheft von JAZZ LEV unmißverständlich formuliert:
"Alle Veranstaltungen finden im topos statt". Punktum. Wer hat da nicht
alles gespielt in den letzten zehn Jahren! Wer hat sich da nicht alles in
den engen, niedrigen Bandstand gequetscht und dort, wo früher einmal die
Küche des Etablissements untergebracht war, gejazzt? Art Blakey war da (und
stellte u.a. den inzwischen zu Weltruhm gelangten Trompeter Wallace Rooney
vor); Larry Coryell legte sich ins Zeug; die berühmte Vokalistin Lauren
Newton glänzte mit ihrem eigenwilligen Gesangsstil; die Boogie-Magierin
Katie Webster brachte ihre "200pounds of joy" in Bewegung und der unlängst
auf grausame Weise ums Leben gekommene Cool-Jazz-Trompeter Chet Baker glänzte
im topos mit einem großen Konzert, dessen herausragende Qualität er in den
Jahren nach seinem Comeback nicht oft erreicht hat.
Der "Ort" des Herrn Orth ist also alles andere als ein stilles Örtchen.
Im Gegenteil: Wenn Leverkusen während der Jazztage im Festivalfieber liegt
(und nicht nur dann), kann es vorkommen, daß ein leicht verspäteter Gast
trotz heftigsten Körpereinsatzes keine Chance mehr hat, in den überfüllten
Club vorzudringen. Viele Fans schwören auf die unverwechselbare Atmosphäre
des kleinen, vom Zahn der Zeit etwas angeknabberten Lokals mit seinen künstlerisch-beschwingt
gestalteten Sitzmöbeln. Aber nicht jedem gefällt's auf Anhieb.
Der Manager von Art Blakey zum Beispiel wiegte zweifelnd sein Haupt, als
er des winzigen Bandstands ansichtig wurde. "Ob Mr. Blakey da spielen wird
... ?" Als der Meister höchstselbst erschien, wischte er alle Bedenken mit
einem breiten Grinsen und einer flüchtigen Handbewegung vom Tisch. "Wo liegt
denn das Problem? Ist doch prima hier!"
Nun, so ganz einschränkungslos "prima" ist das topos nach Meinung des JAZZ
LEV - Vorstandes nicht. Es braucht bloß ein Quartett zu gastieren -und das
ist im Jazz schließlich eine überaus häufige Besetzung - und man muß Angst
haben, daß die Musiker in ihrem winzigen Bühnenkäfig klaustrophobische Zustände
kriegen. Innerhalb des hübschen alten Häuschens wäre eine Vergrößerung der
Bühne verbunden mit einer Verkleinerung des Gästeraumes, der bei vielen
Konzerten ebenfalls zu klein ist. Zudeuteln gibt es da nichts: Ein separater
Konzertraum muß her, damit Musiker, Publikum und die Medien (z.B. WDR-Fernsehen)
endlich einmal einen adäquaten Veranstaltungsraum geboten bekommen. Manches
stand und steht im Gespräch. Es dürfte noch einige Zeit vergehen, bis eine
endgültige Entscheidung fallen wird.
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Für das erste Festival öffnete das Land den Feuerwehrfond
...
Das Lokal topos ist längst überregional bekannt. Und das ist eine Folge
der Leverkusener Jazztage. Im topos finden nämlich nicht nur einige Teile
des Festivalprogramms statt, sondern es gibt noch ganz besondere Attraktionen:
Wenn die Musiker im Forum ihren "Jazz Giants"-Auftritt absolviert haben,
wandern sie nach Wiesdorf in die Hauptstraße 134. Da finden sich dann spontan
die merkwürdigsten Ad-hoc-Gruppen ein. Der Free-Jazzer improvisiert zusammen
mit dem Jazz-Rocker und läßt sich von einem Blues-Mann und einem Cool-Jazz-Virtuosen
begleiten. Diese Offenheit und Flexibilität ist ein typisches Kennzeichen
des Jazz. Man hat nur leider allzu selten Gelegenheit, die Reize einer solchen
bunt zusammengewürfelten Jam Session zu genießen.
Deshalb sind die Fans und die auswärtigen Berichterstatter besonders auf
die frühen Morgenstunden im topos erpicht. Die Journalisten schwärmen hinterher
davon in ihren Artikeln - und so machen sie die kleine Pinte berühmt.
Das Festival ist natürlich das große Aushängeschild von JAZZ LEV. Es hat
sich in den acht Jahren seines Bestehens zu einem gewichtigen Faktor in
der europäischen Jazzlandschaft gemausert. Was am Anfang nicht unbedingt
abzusehen war, ist heute eine Tatsache: Die Leverkusener Jazztage stehen
den älteren Institutionen Jazzfest Berlin, Frankfurter Jazz Festival oder
North Sea Jazz Festival nicht nach.
Es wäre zwar übertrieben, wenn man behauptet, daß JAZZ LEV zu einem Festival
kam wie die Jungfrau zum Kind. Geplant war die Geburt bei Gründung des Clubs
jedenfalls nicht. Der Zufall hatte seine jazzfreundliche Hand im Spiel in
Gestalt des 50jährigen Jubiläums der Stadt Leverkusen. Zu so einem runden
Geburtstag, dachten die politischen Kreise der Kommune, wäre es doch schön,
wenn man ein großes, kulturelles Rahmenprogramm hätte. Dieses könnte vielleicht
auch einen swingenden Teil beinhalten, schlugen die Amtsträger vor. Und
sie wandten sich an JAZZ LEV mit der Frage, ob der Club sich in der Lage
sehe, etwas Spektakuläres auf die Beine zu stellen. Ein Etat stand in Aussicht,
der nach den vorschnellen Angaben der Lokalpresse DM 100.000 betrug, in
Wahrheit aber deutlich geringer ausfiel. JAZZ LEV plante ein großes, mehrtätiges
Jazzfest und ging mit den ersten Entwürfen schon im Mai 1979 an die Öffentlichkeit.
Am Ende waren es DM 60.000, mit denen man auskommen mußte; sie stammten
zur Hälfte aus dem Feuerwehrfond des nordrhein-westfälischen Kultusministers
und reichten nicht für drei, sondern nur für zwei tolle Musiktage aus. Aber
immerhin !
Als im September 1980 das Fest stieg, da wies das Programmheft nicht weniger
als 26 Auftritte aus. Unter den Musikern, die in den diversen Forumräumen
um die Wette spielten, waren so prominente Künstler wie Barbara Thompson,
Randy Weston, Jack DeJohnette, Yusef Lateef oder Dexter Gordon. Doch auch
der deutsche Jazz fand Berücksichtigung, und es kündigte sich bereits jene
bis in die jüngsten Festivals hinein zu beobachtende Tendenz an, besonders
auch den Musikern aus der rheinischen Region Entfaltungsraum zu gewähren
(Kölner JazzHaus Big Band, Ali Claudi ...).
Als nach geschlagener Schlacht die vielen guten Kritiken vorlagen, da erhob
sich die Frage: Soll das alles bloß eine Eintagsfliege gewesen sein? Oder
läßt sich vielleicht eine Möglichkeit finden, ein Leverkusener Jazzfestival
fest zu installieren und damit eine Einrichtung ins Leben zu rufen, die
selbst in der ferneren Umgebung keine Konkurrenz hat (weder Köln noch Düsseldorf
besaßen damals oder besitzen heute ein nach allen stilistischen Seiten offenes
Jazzfest !).
Versteht sich, daß den Entscheidungsträgern der Stadt der Blitzstart des
ersten Versuchsballons nicht verborgen blieb. Und so wuchs denn bei ihnen
die Bereitschaft, sich für eine Wiederholung der Jazztage zu engagieren.
Da alles so glatt gelaufen war, ging man diesmal aufs Ganze und ließ die
Sache mächtig anschwellen. Eine ganze Woche lang stürzte JAZZ LEV die Fans
im Oktober 1981 ins Jazzfieber. Man brachte den Jazz in die Kneipen und
selbstverständlich auch wieder ins Forum. Und man konnte mit Musikern glänzen,
die ihre ganz großen Erfolge als Superstars erst später feiern sollten.
Zum Beispiel der Gitarrist John Scofield und der Geiger Didier Lockwood.
Die konnte das Leverkusener Publikum schon erleben, als anderenorts keiner
ahnte, welche Kapazitäten da aufkeimten. Klar, daß auch anerkannte Größen
eingeladen waren: Jim Hall zelebrierte ohne jede Begleitung seinen subtilen
Kammerjazz und Jazz-Rock-As Billy Cobham gerbte mit Urgewalt die Fülle seiner
Trommeln.
Die Diskussionen über die Bedeutung und die Förderungswürdigkeit der Jazztage
zogen sich im Leverkusener Stadtrat noch über einige Jahre hin. Einerseits
wurde dort versichert, das Fest sei als ein "Herzstück des städtischen Kulturprogramms"
anzusehen. Andererseits führten die komplizierten Mehrheitsverhältnisse
im Magistrat dazu, daß es bei allfälligen Abstimmungen für oder wider das
Fest oft auf des Messers Schneide stand. Ein von Schoofs mehrfach praktizierter
Kunstgriff brachte jeweils die Klärung. Der listige Kommunalpolitiker trat
kurz vor der entscheidenden Ratssitzung vom Vorsitz des Vereins zurück und
war somit berechtigt, als Ratsherr für die Jazztage zu votieren. Auf diese
Weise stellte er die so sehr benötigte Mehrheit von 1 Stimme für das Festival
her. Und nach geschlagener Schlacht kehrte er dann flugs in den JAZZ LEV
- Vorstand zurück.
Immerhin konnte der Club von Anfang an einen wichtigen Vorteil geltend machen.
Da war zum einen die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kulturamt,
ohne dessen finanzielle, ideelle und praktische Beteiligung es schlechterdings
keine Jazztage gäbe. Zum anderen ist es die Tatsache, daß alles, was während
des Festivals an Arbeit getan werden muß, von den Vereinsmitgliedern in
ehrenamtlicher, also unbezahlter (und unbezahlbarer) Eigenleistung erbracht
wird. In der Frühphase halfen auch schon mal die Hörer aus Schoofs' VHS-Kursen
über die Jazzgeschichte aus; sie sind inzwischen dem Verein beigetreten.
Der Club war stolz auf seine Arbeitsleistung. Das führte allerdings manchmal
zu Mißverständnissen mit den immer zahlreich erscheinenden auswärtigen Pressevertretern.
Die zogen den voreiligen Schluß: Wenn hier etwas von Amateuren organisiert
wird, dann ist es logischerweise amateurhaft organisiert. Jede Verzögerung
im Festivalablauf wurde daher übel vermerkt, obwohl es da, wo die Profis
das Sagen haben, oft viel weniger reibungslos zugeht. (Man denke an die
stundenlangen Wartezeiten in Moers !)
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Aus der Jazzlandschaft ist Leverkusen nicht mehr wegzudenken
...
Die Jazztage, dieses gemeinsame Kind der glücklichen Eltern JAZZ LEV
und Städtisches Kulturamt Leverkusen, nahmen Jahr um Jahr eine stetige Aufwärtsentwicklung.
Wenn heutzutage eine Zeitung von Rang keinen Berichterstatter nach Leverkusen
entsendet, spricht das eher gegen das Blatt als gegen die Jazztage ...
Viel ist im Laufe der Zeit hinzugekommen: die Präsentation von Musikfilmen
und Jazzdance und, nicht zu vergessen, die "European Jazzcompetition", die
JAZZ LEV für die International Federation ausrichtet. Jeweils sechs Nachwuchsgruppen,
die sich in den Vorausentscheidungen als die besten Europas entpuppt haben,
konkurrieren um die Siegesprämie von DM 5000 und DM 1000 für den besten
Solisten. Auch wenn manchmal von Jury-Mitgliedern eingewandt wird, daß es
eigentlich ungerecht sei, aus dem zumeist sehr eng beieinander liegenden
Feld der teilnehmenden Gruppen eine besonders herauszustellen, so hat doch
die Competition ihre Berechtigung. Schon die Teilnahme bringt eine junge,
bis dahin unbekannte Gruppe ins Gespräch. Zudem sind ihre Beiträge später
im WDR-Hörfunk zu hören, was den Newcomern eine gewisse Bekanntheit verschafft;
sie finden sich hinterher außerdem in schwarzem Vinyl verewigt. Denn aus
dem Live-Mitschnitt des WDR wird alljährlich eine Schallplatte produziert,
auf der alle am Finale der Competition teilnehmenden Gruppen präsent sind.
Diese LPs stellen erfahrungsgemäß eine große Hilfe für ihre Promotion dar.
Auch sonst wird viele gute Musik von den Jazztagen auf den Microrillen festgehalten.
Erst vor kurzem erschienen zwei enja-Platten, eine davon stellt den Gewinner
der allerersten Competition 1982, den Saxophonisten Günter Klatt vor mit
dem Posaunen-Ensemble "Elephantrombones". (Beachtenswert ist hier eine fünfteilige
Suite, die sich mit der Musikwelt Thelonius Monk's auseinandersetzt.) Die
andere Veröffentlichung "Looking For Love" präsentiert die grandiose Vokalistin
Maria Joâo im Duo mit der japanischen Pianistin Aki Takase. Diese Live-Aufnahme
ist unbedingt hörenswert. Der inspirierte Dialog zweier Meisterinnen, die
trotz (oder gerade wegen?) ihrer unterschiedlichen ästethischen Grundpositionen
mühelos zusammenfinden, vollzog sich in einer solch fantastischen musikalischen
Perfektion, wie sie von anderen Künstlern nicht einmal im Studio erreicht
wird.
Eine stattliche Anzahl von Festival-Konzerten flimmern auch über die Bildschirme.
Die Kooperation mit den TV-Leuten geschieht zu beiderseitigem Nutzen. Der
Club verdient daran (und kann das Geld in Gagen investieren) und das Fernsehen
bekommt, wie Redakteur Dieter Hens von West 3 freimütig zugibt, wertvolle
Beiträge zu einem Minutenpreis, der fast aus dem Kleingeld des Sende-Etats
bezahlt werden kann. Zum Beispiel zahlt in diesem Jahr der WDR für elf Konzertsendungen
DM 50.000 - viel Geld für JAZZ LEV, ein Trinkgeld für den Sender.
Wer auch immer beim JAZZ LEV die Ämter bekleidete, ob die Vorsitzenden Schoofs,
Kämper, Siegmund oder Gerling hießen, stets bewies der Verein Mut zum künstlerischen
Risiko. Das färbt freilich auch auf die Jazztage ab, die immer unkonventionelle,
überraschende Teile aufweisen. Die Projekte mit Jazz und Lyrik sind hierzu
nennen, die Leverkusen-exklusiven Workshop-Bands müssen angeführt werden,
die Jazz-At-The-Organ-Konzerte in der Bielertkirche oder auch Dollar Brands
große Anti-Apartheid-Oper "Kalahari". Die Festival-Veranstalter mußten sich
fast um dieses großangelegte Unternehmen prügeln. Ungeachtet der zahlreichen
Abwerbeversuche blieb es bei Leverkusen als Ort der Weltpremiere. Den Jazztagen
kostete das DM 25.000, es brachte ihnen im Gegenzug fantastische Publicity:
"Gleich sieben Fernsehteams rollten an ... massiert wie nie zuvor war die
Presse aus dem In- und Ausland vertreten", berichtete die Kölnische Rundschau.
Sogar den ARD-Tagesthemen war Dollar Brand's Musiktheater einen Bericht
wert. Um so bedauerlicher war es, daß der Versuch, 300 Jahre südafrikanischer
Geschichte in eine überzeugende Form zu fassen, trotz seiner Faszinationskraft
mißlang. Aber genau dieses Risiko birgt jedes Experiment in sich. Wenn man
das Ergebnis schon vorher wüßte, wäre das Experiment überflüssig.
Die unvorhergesehenen Sensationserfolge landen dann oft gerade Außenseiter
wie das Black-Swan-(Streich)-Quartett vor zwei Jahren. Ganz oben schwammen
die Schwäne und begeisterten mit einem frischen, unorthodoxen künstlerischen
Ansatz. Solche Auftritte (und natürlich die vielen, vielen soliden, bewährten
Stars wie Lee Konitz, Milt Jackson oder Sun Ra und Pharao Sanders) haben
dazu geführt: Leverkusen ist auf den aktuellen Jazz-Landkarten ganz dick
eingezeichnet !
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Vom Umgang mit Schusseln, Dauerbadern und Möchtegern-Mördern
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Wer regelmäßig mit außergewöhnlich kreativen Menschen arbeitet (und manchmal
auch mit solchen, die sich bloß dafür halten), der erlebt die verrücktesten
Geschichten. Einige Jazzer pflegen ihre liebenswerten Marotten wie etwa
Lauren Newton, die überall in ihrer nächsten Umgebung "No Smoking"- Schilder
aufstellte. Andere lassen ernsthafte Anzeichen einer gewissen Weltfremdheit
erkennen. Oder wie soll man es sich sonst erklären, wenn das World Saxophone
Quartet nur zu drei Vierteln anreist, weil einer der Musiker statt nach
Frankfurt versehentlich nach Bukarest geflogen ist? Zum Konzert waren dann
glücklicherweise alle wieder beisammen. Doch der Gig wäre trotzdem fast
geplatzt, weil die Jungs ihre Instrumente auf dem Flughafen stehengelassen
hatten. Also fuhr jemand mit dem PKW nach Frankfurt und karrte die Utensilien
im Eiltempo herbei ...
Oder der legendäre Schlagzeuger Max Roach: Als er mit seinem grandiosen
Ensemble M'Boom in Leverkusen weilte, vergaß er bei der Abreise ein Paar
Schuhe im Hotel. Man muß wissen: Max Roach trägt Fußkleidung von gewaltigen,
ausladenden Dimensionen. Die Vereinsleute wären die sperrigen Umgetüme gerne
losgeworden. Und so versuchten sie immer wieder, dem Drummer die Schuhe
nachzusenden. Aber sie kamen immer wieder zurück. Seitdem ist JAZZ LEV im
Besitz von echten Max-Roach-Reliquien.
Zuweilen kann die Schusseligkeit der Herren Musiker auch teuer werden. Oscar
Sanders, der Gittarist aus Billy Bang's Quintett, fröhnte im Ramada Hotel
ausgiebigen Badefreuden. Leider vergaß er, den Wasserhahn zuzudrehen. Bemerkt
wurde das erst, als das feuchte Naß in die Konferenzräume plätscherte. Das
machte dann eine größere Renovierung nötig.
Von eher mäßiger Lustigkeit ist ein Zwischenfall mit dem Blues-Meister Otis
Rush. Er logierte im Hotel Janes und drehte plötzlich am Tage vor seinem
Auftritt durch. Im Verlauf seines Tobsuchtanfalles ging er auf Frau und
Kind los und konnte von Hotelgästen, die der Lärm aufgeschreckt hatte, mit
knapper Not an seinem mörderischen Tun gehindert werden. Lediglich die Zerstörung
eines Waschbeckens war zu beklagen. Und was das Erstaunliche ist: Bei den
Konzerten der Jazztage traf man die Familie zuhörenderweise und glücklich
wiedervereint - just so, als sei nichts geschehen.
Wer weiß, vielleicht kann man zum 50. JAZZ-LEV-Jubiläum ein Buch aus den
schönsten, blutigsten, traurigsten, schauerlichsten und lustigsten Musiker-Episoden
machen.
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